COVID-19: Statistiker empfehlen Strategie zur Erhebung von Daten

Pandemie hat Defizite aufgezeigt – Evidenzbasierte und interdisziplinäre Studien können Politik entscheidend unterstützen – Stellungnahme der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Statistik

(Göttingen/Heidelberg, 22. März 2021) Vor dem Hintergrund von Covid-19 empfiehlt die Deutsche Arbeitsgemeinschaft Statistik (DAGStat) die Erarbeitung einer nationalen Strategie zur Erhebung und Verarbeitung von Daten. „Statistiken und statistische Modelle tragen maßgeblich zur politischen Entscheidungsfindung in Pandemien bei“, sagte Prof. Dr. Tim Friede heute bei der Vorstellung der Stellungnahme der DAGStat in Göttingen. An dem 30seitigen Papier haben u.a. Vertreter von zehn Universitäten und der Destatis sowie Vertreter der Society for Medical Decision Making (SMDM) mitgearbeitet.

Zahlen an die Macht? - Symposium in Zusammenarbeit mit Deutsch-Amerikanischem Institut
Friede wies zudem auf das bevorstehende Symposium in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Amerikanischen Institut Heidelberg hin. Unter dem Titel: „Zahlen an die Macht? Wie Daten und Statistik Politik beeinflussen“ diskutieren am kommenden Donnerstag, den 25. März 2021 von 20.00 – 21.30 Uhr in einer Online-Veranstaltung Prof. Dr. Helmut Küchenhoff, Statistiker an der LMU München, Dr. Walter Radermacher, ehemaliger Präsident des Statistischen Bundesamts und
Generaldirektor von Eurostat und Christin Schäfer, Gründerin der Data Science Boutique acs plus und Mitglied der Datenethikkommission der Bundesregierung. Unter folgendem Link können sich Interessierte anmelden: dai-heidelberg.de/de/veranstaltungen/zahlen-an-die-macht-41574/. Die Online-Veranstaltung ist selbstverständlich kostenfrei.


Evidenzbasierte und interdisziplinäre Studien sind Hilfen für politische Entscheidungen
„Nur mit wissenschaftlichen Auswertungen, die unabhängig sind und auf einer sehr breiten Grundlage basieren, können für die Politik die notwendigen Entscheidungshilfen in kürzester Zeit zur Verfügung gestellt werden“, sagte DAGStat-Vorsitzender Prof. Dr. Friede weiter. „Unbedingte Voraussetzungen
dafür sind volle Transparenz schon bei den Datenerhebungen, volle Transparenz bei den verwendeten Modellen und der Auswertung der Datensätze sowie volle Transparenz bei den politischen Entscheidungswegen“.

Covid-19 habe Defizite auf verschiedenen Ebenen aufgezeigt, vielfach werde auch von Vertrauensverlusten berichtet. Für künftige Krisenfälle müsse jetzt dringend eine solide Basis geschaffen werden. „Nationale und internationale Datensammlungen, der wissenschaftliche Diskurs und der interdisziplinäre Austausch sind unbedingte Voraussetzungen zur Entwicklung von Krisenstrategien.“ Dies sei letztlich zwar Aufgabe der Politik, die Wissenschaft könne und müsse hier aber eine entscheidende Hilfe bieten, sagte Friede, der auch Institutsleiter für Medizinische Statistik an der Georg-August-Universität Göttingen ist.

Eine Pandemie stellt in besonderem Maße Herausforderungen an den Prozess der Entscheidungsfindung. Damit Entscheidungen evidenzbasiert erfolgen können, ist eine zeitnahe Verfügbarkeit von Evidenz und Daten notwendig. Die Statistik als breit angelegte wissenschaftsübergreifende Fachrichtung spielt hier eine besondere und wichtige Rolle.

In dieser Stellungnahme hat die DAGStat die Entscheidungsfindung am Beispiel der Corona-Pandemie diskutiert. Viele der abgeleiteten Maßnahmen und Empfehlungen lassen sich aber auch verallgemeinern.

Empfehlungen der DAGStat
Insbesondere lassen sich aus statistischer Sicht folgende Empfehlungen für
Entscheidungsfindungsprozesse ableiten:

  1. Verfügbarkeit von Daten: Eine nationale Strategie und systematische Sammlung von Daten ist wichtig, um statistische und entscheidungsanalytische Modelle erstellen zu können.
  2. Transparenz: Um die Akzeptanz der Entscheidungen und damit einhergehender Maßnahmen zu erhöhen, müssen alle Schritte des Entscheidungsfindungsprozesses offengelegt werden. Das beginnt mit den Daten und setzt sich in der Wahl der Modelle und der betrachteten Trade-Offs fort.
  3. Kommunikation: Eine umfassende Kommunikation mit der Bevölkerung ist unabdingbar. Dies beinhaltet insbesondere die Kommunikation von Risiken und Unsicherheiten, der Zielsetzung eines Modells sowie der Wahl der Modellparameter und Annahmen. In diesem Zusammenhang kommt auch den Medien eine entscheidende Rolle zu. Die DAGStat als Dachverband verschiedenster Fachgesellschaften bietet sich hier als Netzwerk an.
  4. Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Eine Pandemie stellt besondere Herausforderungen an die gesamte Gesellschaft. Um diese möglichst effizient anzugehen, ist eine fächerübergreifende Zusammenarbeit unabdingbar. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, als Fachgruppe statt als Individuum, breit aufgestellt und mediensensitiv aufzutreten.
  5. Statistical Literacy / Data Literacy: Die Fähigkeit, Daten kritisch zu beurteilen und Sinn aus Daten zu erschließen, dient der Mündigkeit in einer modernen digitalisierten Welt und sollte daher als Teil der Allgemeinbildung etabliert werden. Zur Förderung von Statistical Literacy auf allen Ebenen ist die Zusammenarbeit von Statistiker/innen mit allen Interessengruppen, die sich mit statistischer Bildung befassen, nötig.

Die DAGStat bietet zudem an, Anfragen zu statistischen Fragestellungen, Interpretation und Analyse von Daten, etc. zu bearbeiten, zu koordinieren bzw. entsprechende Arbeitsgruppen oder Ansprechpartner zu benennen.

Die DAGStat ist die Dachorganisation von 13 wissenschaftlichen Fachgesellschaften aus dem Bereich der Statistik sowie des Statistischen Bundesamtes. Die vollständige Stellungnahme kann auf der Homepage der DAGStat (www.dagstat.de) unter https://www.dagstat.de/fileadmin/dagstat/documents/DAGStat_Covid_Stellungnahme.pdf abgerufen werden.

Ansprechpartner für Rückfragen:
Prof. Dr. Tim Friede
Institut für Medizinische Statistik
Universitätsmedizin Göttingen
Tel: 0551-39-4991
tim.friede@med.uni-goettingen.de